Mittwoch, 8. August 2012

...mit dem Tag am Meer...

Wütend gellte der Schrei der Möwe durch den Hafen. Wild flatternd stürzte sie sich auf eine Artgenossin, die gerade behände ein Stück Fisch aus einem Fischernetz stibitzt hatte und nun stolz mit ihrem Raub dahinsegelte. Der Zusammenprall war heftig. Schrille Schreie zerfetzten die vorher so anheimelnde Ruhe des Hafens und Federn lösten sich, als sich die Angegriffene mit wildem Flügelschlag gegen den hackenden Schnabel der Kontrahentin zu wehren versuchte. Dann Ruhe, als die Gegenwehr auf einmal verstummte und der Fischkadaver aus den erschlaffenden Gliedern sank und zu Boden stürzte.
Sie kniff die Augen zusammen um die Einzelheiten besser erkennen zu können. Etwas stimmte nicht - der Schlag der Flügel stockte, der ganze Vogel geriet ins Trudeln und sank in unregelmäßigen Wirbeln nach unten. Viel zu schnell und ungebremst. Verglichen hiermit wirkte der kühne Sturzflug der anderen Möwe harmlos, die sich gekonnt die umkämpfte Beute schnappte und davonflog.
Jetzt war sie es, die schrie, als der leblose Kadaver direkt vor ihren Füssen dumpf aufprallte. Ihr Bein zitterte, als sie ausholte und den blutbefleckten Körper schnell von der Kaimauer in das undurchsichtige Dunkel des Hafenbeckens beförderte. Mit schreckgeweiteten Augen starrte sie nach unten und erblickte den frischen Blutfleck, den das ganze Ereignis auf dem hellen Leder ihrer abgelaufenen Schuhe hinterlassen hatte.

Bei den Göttern, was war das gewesen? Es jagte ihr immer noch kalte Schauer den Rücken hinunter. Trotz des warmen Tageslichtes wirkte es so unwirklich...
Sie wusste, dass dem Flug der Vögel eine sehr hohe Bedeutung zukam und man aus ihm die Meinung der Götter zu diversen hochwichtigen Staatsangelegenheiten ablas. Rom hielt sich zahlreiche Fachleute, die sich auf diese hoch komplizierte Fähigkeit verstanden. Es wäre natürlich nicht Rom gewesen, wenn man sich nicht zusätzlich durch Priester absicherte, welche die Zukunft aus den Eingeweiden von Opfertieren erkennen konnten.
Wäre Quintus doch hier gewesen, er kannte sich doch immer so gut mit allen Dingen aus. Gewiss hätte er eine einfache und logische Antwort gewusst und sie beruhigt.

Mit verstörtem Gesichtsausdruck begab sie sich zu ihrer Taverne ohne ihre Umgebung überhaupt wahrzunehmen. Verzweifelt versuchte sie dort den Blutfleck abzuschrubben, aber er erwies sich als hartnäckig. Vielleicht hatte Sabrina ja heute Nacht mehr Erfolg als sie. Seufzend begann sie sich auf den heutigen Abend vorzubereiten und die vertraute Routine gab ihr zumindest einen Teil ihrer Ruhe zurück.

Ein lautes Stimmengewirr holte sie aus ihrer Trance. Corinus und Maja diskutierten lautstark in Gegenwart des Tribuns und sie trat neugierig hinzu.
"Salve Faba, ich komm gleich zu dir die Rechnung begleichen." begrüßte sie der Lanista, während Maja mit sehr brummiger Miene daneben stand. Verwirrt blickte sie ihn an, behielt aber geflissentlich ihr Lächeln bei und antwortete selbstsicher "Gewiss."
Geld war immer gut, speziell wenn er überhaupt nichts dafür in Anspruch genommen hatte. So wie es klang war der Mann tatsächlich in Nöten - nichts was sich nicht ausnutzen ließe!
"Wenn ihr mich entschuldigen würdet, ich sollte meine Hände waschen, ich habe da was angefasst was meinem Mann nicht passte." Majas Satz war ebenso schnippisch wie unverständlich als sie davon rauschte. Was war da los?

"Wer hätte ja auch ahnen können das der Abend so teuer werden würde.. ganze neun Sesterzen..."probierte Faba ihr Glück.
Er lachte leise: "Sie glaubt es nur nicht, sie denkt ich war bei einer Hafenhure." Daher wehte also der Wind!
Nun lachte auch der Tribun: "Und warst du?"
"Nein, ich bin doch was besseres gewöhnt als diese gewöhnlichen Flittchen."
Die Wirtin fand, dass sie es Maja schuldig war den Preis unter diesen Umständen anzuheben: "Wie kommt sie denn auf so eine Idee? Ich kann felsenfest bezeugen das du für elf Sesterzen besten Wein bei mir getrunken hast."
"Eben waren es noch neun. Faba, hab ich was verpasst?"
Sie blickte ihn mit gespielter Unschuld an: "Oh, du musst dich verhört haben..."

Wo auch immer er sich herumgetrieben hatte, sein Kater war auf jeden Fall echt. Nicht ganz ohne Hintergedanken erzählte sie den beiden von Quintus Katerbekämpfungsmaßnahmen, die sofort auf helle Begeisterung stieß. Ebenso wie der neue tarentinische Wein, der endlich eingetroffen war. Wer hätte gedacht das der Vater des Tribuns auch ein Landgut besaß auf dem Wein angebaut wurde? Und er versprach ihr ein oder zwei Fässer davon zu besorgen! Das war wirklich großzügig von ihm und sie freute sich schon darauf den unbekannten Tropfen zu kosten.
Die Taverne füllte sich schnell noch weiter und Dank Serenas tatkräftigem Einsatz hatte sie dennoch Zeit, sich ein wenig mit ihren Gästen zu unterhalten. Trotz der Erwähnung des horrenden Geldbetrages den Corinus bei ihr angeblich versoffen hatte war Maja nach wie vor sehr ungehalten - oder gerade deswegen? Dennoch wendete sie sich der Wirtin zu und sprach sie auf den offenen Auftrag an:
"Ich habe da noch ein Gewand, das ich fertig stellte, das aber nie abgeholt wurde. Es sollte dir passen" Faba stockte der Atem: "Ohh... von wem denn?"
Ein breites Lächeln, dann die knappe Antwort: "Agape".
Als sich die Wirtin wieder von ihrem fürchterlichen Hustenanfall erholt hatte und ihre Gesichtsfarbe sich normalisierte, bot sie ihr an das gute Stück in der Schneiderei anzuschauen. Schnell versuchte sie die eben eingetroffene Tamara als Hilfswirtin einzuweisen, aber das schien keine rechten Früchte zu tragen. Als Gladiatorin mochte sie ungeschlagen sein... als normale Kellnerin war sie nicht beschlagen genug. Schnell versicherte sie der frisch eingetroffenen Reisenden eine gute Unterkunft und überließ sie der gewiss angenehmen Gesellschaft ihres Mannes, um endlich wie ersehnt zur Schneiderei zu laufen.

Die römische Schneiderin hatte ihren Vorsprung gut genutzt und die Tunika kunstvoll auf einer Stoffpuppe drapiert. Es verschlug ihr die Sprache. Dieser edle Stoff mit der schlichten, aber eleganten Färbung, der so sanft über die Halterung floss. Der Schnitt der für Agapes Verhältnisse geradezu züchtig war, aber dennoch deutlich die Figur der Trägerin betonen und mit gerade noch gesellschaftstauglichen Einblicken deren Vorzüge hervorhoben würde.
Respektvoll wischte sie ihre fettbesudelten Hände an einem von Maja gereichten Tuch ab, bevor sie sich auszog um in dieses Prachtstück hineinzuschlüpfen. Und es passte perfekt. Wer hätte gedacht das sie und die Hetäre eine ähnliche Figur hatten? Ungläubig starrte sie auf den gewagten Ausschnitt und den raffinierten Schnitt. Maja hatte wirklich ganze Arbeit geleistet, das Gewand war einfach traumhaft.
"Keine Widerrede. Ich schenke sie dir, sieh es als Hochzeitsgeschenk an" Die Wirtin konnte ihr Glück nicht fassen. Noch nie in ihrem Leben hatte sie etwas so kunstvolles besessen... und die Ideen welche Maja zu den schlichteren Alltagsgewändern äußerte klangen großartig.

Sie war so voller Vorfreude das sie ihr altes abgewetztes Gewand vergaß, als die beiden zurück zur Taverne fegten, um Majas Kunstwerk ihrem Mann und den anderen vorzuführen.
Augen weiteten sich, Unterkiefer klappten nach unten, Worte verloren sich im leeren Raum. Man konnte sagen das es einschlug wie eine Wucht. Als Quintus mühsam seine Fassung wieder errungen hatte starrte er noch einmal lange auf das gewagte Stück Schneiderhandwerk und sagte leise: "Aber das wird nicht bei der Arbeit getragen."
Doch das bekam Faba gar nicht mehr mit, war sie doch gerade im Begriff für Maja einen großen Kelch Weißwein zu holen.

Als sich die Taverne langsam leerte kam sie auch dazu, sich endlich in Ruhe ein wenig mit der frisch Eingetroffenen zu unterhalten. Lutitia Cornelia Merulae hieß sie und sowohl der Name als auch der Schnitt ihrer Kleidung deuteten auf durchaus vornehme Verhältnisse hin. Dennoch war die Frau freundlich und nett, trotz des schweren Schicksalsschlages den sie gerade hinter sich hatte. Sie war hier um auf andere Gedanken zu kommen, etwas das in einer Stadt wie Brundisium gewiss möglich wäre. Immerhin gab es ja zwei bestückte Ludi welche die Arena regelmäßig zuverlässig zu füllen wussten. Und natürlich hervorragenden Wein, speziell der aus Tarentum. Nicht ohne Hintergedanken vermietete sie der Frau eine Wohnung in der linken Insula. Es hatte den zweitbesten Meerblick (Florina hatte sich natürlich schon längst das andere gesichert) und - was nicht zu verachten war - einen freien Blick auf den Trainingshof des angrenzenden Ludus Calpurnianus. Wenn die muskulösen Männerleiber in den knappen Rüstungen die Frau nicht auf andere Gedanken bringen konnte wusste sie auch nicht weiter. Die Arme tat ihr leid. Es war furchtbar seinen Ehepartner schon so früh von der Seite gerissen zu bekommen.

Nur wenige Schritte führten sie von dem Mietshaus zum heimischen Ludus. Leise schlich sie die Treppe hinauf, nur um ihren Mann leise schnarchend im Bett vorzufinden. Wie friedlich der alte Griesgram aussah...  Jupiter verging sich an ihm? Sie schmunzelte. Da hatte sein bester Kämpfer Thalab in einem grandiosem Kampf den größten Widersacher des gegnerischen Ludus niedergerungen, obwohl fast jeder gegen ihn gewettet hatte... und er wurde es dennoch nicht leid über das Schicksal zu klagen. Ob er überhaupt wusste was die Götter einem antun konnten wenn sie es wirklich auf jemanden abgesehen hatten? Seufzend dachte sie an Terentia und die anderen Mitglieder ihrer ehemaligen Familia.

Wieder tauchten die kämpfenden Möwen vor ihr auf. Vielleicht war es ja auch nur eine Ankündigung zu dem Streit zwischen Corinus und Maja gewesen?
Sorgfältig legte sie ihre neue Kleidung ab und faltete sie  auf einem der Hocker zusammen. Dass sie Corinus Lüge unterstützte war gewiss im Sinne der beiden. Was auch immer er getan hatte, dem Ehefrieden wäre eine normale durchzechte Nacht wohl bekömmlicher. Es würde Maja nicht so verletzten wie die Alternative.

Und Corinus? Der hatte einen Riesenfehler begangen. Nicht nur das er heute mit dieser Geschichte insgesamt zwanzig Sesterzen an sie verloren hatte.. nein, er hatte sich auch verwundbar gemacht. Sie hatte ihm nur bescheinigt dass er für eine große Summe Wein konsumiert hatte, aber nicht wie lange er bei ihr blieb. Und Maja hätte eigentlich wissen müssen das ihre Taveren nie bis zum frühen Morgen geöffnet war, an dem der durchzechte Lanista endlich nach Hause gekommen war.
Unverhofft hatte ihr der schlimmste Konkurrent ihres Mannes damit eine überaus scharfe Waffe in die Hand gegeben. Es war ja nicht so, das sie diese unbedingt nutzen würde...

Aber es schadete gewiss nicht, ein scharfes Messer griffbereit zu haben.

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