Donnerstag, 2. August 2012

Architektonische Bedenken

"Die Basis ist Schönheit, Vertrauen, Harmonie und Fruchtbarkeit" näselte der Grieche gelangweilt und starrte die beiden Backfische vor sich grimmig an. "Stell Dir diese Eigenschaft als die vier Säulen vor, die das schützende Dach über einer glücklichen Ehe tragen. Terentia!" Wuchtig hieb er mit dem Zeigestock gegen die Wand um wieder die Aufmerksamkeit seiner Schülerin zu erringen, die gerade noch theatralisch die Augen in Fabas Richtung verdreht hatte. "Die Schönheit wird von den Göttern gegeben, man kann sie durch gute Pflege verlängern, aber nicht für immer erhalten. Fehlt die äußere Schönheit, so versuch sie durch den Liebreiz der Bewegung und der Anmut des Geistes zu kompensieren..." leierte er weiter seinen Text herunter, bevor er gedankenverloren hinzufügte: "Vergiss letzteres, das ist verlorene Liebesmüh. Und nach all den Jahren weiß ich da wovon ich spreche."
Er hustete trocken und fuhr fort: "Vertrauen in die Treue der Frau. Sie muss über jeden Zweifel erhaben sein. Hüte Dich vor zwielichtigen Plätzen und fremden Männern. Kleide Dich züchtig" - missmutig schweifte sein Blick über die verschwenderisch bestickten Tunika Terentias - " und verhalte Dich sittsam so dass du keinem Verdacht oder Gerücht zum Opfer fällst.
Zerstöre nicht die Harmonie der Ehe durch eigenwillige Widerworte oder dumme Ansinnen und Handlungen. Gehorch Deinem Mann, füge Dich seinen Wünschen und beharre nicht auf anderen Meinungen. Ich weiß das gerade dieser Punkt Dir sehr schwer fallen wird. Aber bei den Göttern, reiß dich zusammen!" Dieses mal traf der Zeigestock mit voller Wucht Fabas Nacken und Terentia hörte erschrocken mit ihrer Grimasse auf und starrte den Lehrer aus weit aufgerissenen Augen an.
"Über die Fruchtbarkeit muss ich wohl nichts weiter sagen. Erfreue Deinen Mann, sei ihm willig zu Diensten und die Götter werden Euch mit einer großen Kinderschar segnen." Sein Gesichtsausdruck wies darauf hin das ihn dieser Gedanke nicht wirklich erfreute. Anscheinend waren ihm schon seine beiden Schülerinnen zuviel.

Faba hatte ihn und seinen Unterricht gehasst. Das selbstgefällige Gehabe, die ewigen Wiederholungen, die Verachtung seinen Schülerinnen gegenüber. Wobei er sie als Sklavenmädchen vollkommen ignoriert hatte und all seine Bestrebungen nur Terentia und der Vorbereitung auf ihre Ehe galten.
Schönheit, Vertrauen, Harmonie und Fruchtbarkeit... wie Schreckgespenster spukten diese Wörter in ihrem Kopf herum. Sie hatte diese so oft um die Ohren gehauen bekommen das sie sich unwiderruflich in ihr Gedächtnis eingebrannt hatte. Und ihr jetzt ordentliche Gewissensbisse bescherten.

Wie sollte sie ihrem Mann gegenüber ruhig und gelassen bleiben können wenn er sie so dermaßen aufregte, ihre Worte und Probleme so völlig ignorierte? Sie hatte sich heute wirklich beherrschen müssen um ihm nicht laut ihre Meinung zu sagen.

Eventuell waren sie beide einfach zu sehr mit sich und ihren Problemen beschäftigt. Sie selber war den ganzen Tag hektisch ihren Vorbereitungen für die Reise nach Tarentum nachgegangen, wo sie sich von den Verhandlungen mit den dortigen Winzern und Händlern viel erhoffte. Und Quintus, der tagelang über klein geschriebenen schwarzen und roten Zahlen gegrübelt hatte, litt wohl immer noch durch den verlorenen Kampf.

Aber diese Gnadenlosigkeit Msanaa gegenüber! Er drohte tatsächlich damit ihn an ein Bergwerk zu verkaufen. Vielleicht war der Gladiator wirklich schlecht... aber jeder Sklave kannte die Geschichten und Gerüchte über die Bergwerke. Es hieß das sie mörderisch waren. Einmal dort gab es keinen Weg mehr zurück. Keine Verdienstmöglichkeiten, die einen auf einen Freikauf hoffen ließen, keine Chance auf einen Verkauf, keine Fluchtmöglichkeit. Stattdessen nur mörderische Arbeitsbedingungen, die selbst die stärksten Sklaven innerhalb von Monaten fällten. Der Tod in Raten. Eine offene Drohung an jeden ungehorsamen und schlechten Sklaven. Und Faba hatte diese Geschichten häufiger gehört als viele andere.
Aber es half nichts, kein Flehen, kein Bitten, keine Erklärungen... Quintus war verstimmt ohne überhaupt den Kampf gesehen zu haben. Kalt und gefühllos. So hatte sie ihn bis jetzt noch nicht kennen gelernt. Sie spürte wie sich etwas tief in ihr zusammenzog. Fürchtete sie diese neue Seite an ihm?

Vor ihrem geistigen Auge erschien ein kleiner, halb verfallener Tempel. Das baufällige Dach wies zahlreiche große Löcher auf und wurde nur notdürftig von drei Säulen getragen. Ein besonders beeindruckend krummes und schiefes Gebilde war aus hastig geformten Ton, lieblos dahingeklumpt und schon voller Risse. Es wirkte so unwirklich dass es kaum zu glauben war, dass dieses tatsächlich einen Teil des Gewichtes tragen sollte. Und sobald der Zweifel da war, wackelte die Säule schon bedrohlich, was das ganze Dach zum Schwanken brachte. Hastig überdachte sie das soeben Gesagte und ihr generelles Benehmen der letzten Tagen.
Krachend zerplatzte der Ton und die Säule stürzte in Form eines sanften Staubregens zu Boden. Aber das Dach hielt stand. Sie atmete auf - sie hatte sowieso nie daran geglaubt.

"HALT!" Florinas Schrei ging durch Mark und Bein. Plötzlich sah man zwei leicht bekleidete junge Frauen flinkfüßig davon fliehen, gefolgt von der heftig keuchenden Köchin. Hektisch schaute sich diese um, hatte aber schon die Fliehenden aus den Augen verloren und stand jetzt hilflos vor der Taverne.
Bis eben hatte der beleibte Blondschopf noch vor Glück gestrahlt, immerhin hatte sie endlich die leer stehende Bäckerei mieten können, wobei der Einsatz kulinarischer Köstlichkeiten nicht ganz unbeteiligt war. Aber die "Hilfe" dieser zwei Sklavinnen, die sie sich irgendwie von Claudia ausgeborgt hatte, machte ihr sichtlich zu schaffen. Völlig erschöpft klagte sie dem Paar ihr Leid. Die verzogenen Dinger hatten sich als völlig nutzlos herausgestellt, waren mehr mit sich selbst als mit ihrer Aufgabe beschäftigt und vergrößerten das Durcheinander in der Bäckerei sogar noch durch ihr ungeschicktes Gebaren.
Florina lag der Umgang mit Sklaven wohl wirklich nicht, aber auch das Ehepaar war sich da nicht einig. Während Faba empfahl, die Sklaven das nächste mal einfach zu bestechen, in dem man ihnen eine warme Mahlzeit nach getanerer Arbeit in Aussicht stellte, schlug Quintus die Peitsche vor. Die Wirtin bildete sich ein das Knirschen von Tonstaub zu hören, als ihr Mann sich schließlich verabschiedete um schlafen zu gehen.

Gemeinsam betrat sie mit ihrer Freundin die geräumige Bäckerei. Dies wurde von einer riesigen Theke dominiert, mit der die frischgebackene Bäckerin gewiss ganze Kohorten verköstigen konnte. Dazu natürlich einen großen Ofen, der wohl selbst die kühnsten Backträume Florinas mühelos zu bewältigen vermochte. Das wichtigste waren aber die Fenster, die sich direkt zu der belebten Hafenstrasse öffneten und den Duft frischgebackenen Brotes nach draußen tragen würden. Gab es etwas wirkungsvolleres um hungrige Kundschaft nach drinnen zu locken?

Das ganze trübten nur die zahlreichen Spinnenweben und die dicke Mehl- und Staubschicht, die alles abdeckte. Stellenweise hatte sich wohl jemand mit etwas Feuchtem bemüht und es hatte sich ein sehr unappetitlicher grauer Brei auf dem Fußboden und den Wänden gebildet. Leise tropfte etwas Wasser eine der Wände hinab. Faba fragte sich zu was die Sklavinnen überhaupt gut sein könnten...

"Wenn Du magst helfe ich Dir..." schlug sie vor, nach dem sie sich ein Bild von dem allgemeinen Chaos gemacht hatte. "Wenn wir beide zusammen anpacken schaffen wir es bis morgen."

Florina blicke sie zweifelnd an. "Ist das nicht unter unserer Würde?"

Die Wirtin musste bei diesem unfreiwillig komischen Blick der so behütet aufgewachsenen jungen Frau unwillkürlich kichern. "Es sieht keiner, oder? Und ich vertraue dir mal dass du es nicht Quintus weiter erzählst."

Die blonden Locken flogen nur so durch die Gegend als die Bäckerin energisch den Kopf schüttelte. Flugs holte Faba saubere Tücher aus der Taverne während sich Florina großzügig aus dem Brunnen des calpurnianischen Ludus bediente. Wieder beim nächtlichen Tatort angelangt, begaben sie sich fröhlich plaudernd ans Werk. Tapfer reckte sich die Bäckerin auf die Zehenspitzen um die imposanten Spinnweben in Angriff zu nehmen, während Faba mit einem trockenen Tuch die Wände abrubbelte um den Staub zu lösen und erzählte fröhlich von ihrer Jugend.

"Was glaubst du, was ich alles erklärte, wenn ich in die Bredoullie geriet? Die wildesten Phantasiegeschichten. Als Sechsjährige versuchte ich felsenfest meinen Dominus zu überzeugen das ich kurzzeitig von Zyklopen entführt wurde und nur durch das Eingreifen eines griechischen Recken wieder freikam und erst dann - wenn auch leicht verspätet - meinem eigentlichen Auftrag ausführen konnte."

Ein Kichern war die Antwort: "Das hat er geglaubt?"

Sie lachte: "Ich glaube nicht. Er ließ sich aber so weit beeindrucken das er mir die Schläge ersparte und mir nur das Abendessen strich. Er war ein sehr weichherziger Mann.. Du hättest ihn kennen lernen sollen."

"Ohhh... Kein Essen?!?" Der Gesichtsausdruck Florinas drückte deutlich aus das dieses die schlimmste Strafe war die sie sich selbst in ihren wildesten Phantasien ausmalen könnte.

Letztendlich waren die beiden Freundinnen wohl doch verschieden.

Die Zeit verging wie im Fluge und schon eine Stunde später war die Bäckerei sauber und die Bäckerin staubbedeckt. Zufrieden betrachteten die beiden ihr Werk und beschlossen sich zum Abschluss des Abends im Bad zu säubern und zu entspannen.

Ruhig und majestätisch wie ein Berg Eischaum schwebte die Bäckerin neben ihr auf dem warmen Wasser dahin. Faba schloss die Augen und entspannte sich. Die Putzarbeit von eben und der nächtliche Einfall in das Bad war gewiss nicht das, was sich Peleus unter einem anständigen und sittsamen Verhalten ausmalte. Vor ihr erschien wieder der Tempel, dessen Dach nur noch von zwei Säulen getragen wurde. Sie trat näher und musterte die eherne Säule direkt vor ihr. Groß, gerade und mächtig wirkte sie, obwohl auch sie schon einige Scharten und Kratzer aufzuweisen hatte. Sanft strich sie mit ihren Fingerspitzen über sie. Kühl war sie.. und überall befanden sich kleine Spuren zahlreicher Leute und Begegnungen. Sie konzentrierte sich und versuchte das ganze mal aus der Sicht ihres ehemaligen Lehrers zu sehen.

Sie war die Wirtin einer Hafentaverne - sofort wurde der metallische Glanz stumpf und es zeigten sich die ersten Zeichen einer Korrosion. Sie arbeitete alleine bis spät in der Nacht für eine Kundschaft, die größtenteils aus Matrosen, Soldaten und sonstigen Nachtschwärmern bestand - tiefe Sprünge und Furchen klafften auf einmal in der Säule. Sie erinnerte sich an die vertrauliche Geste, mit der ihr Tiberius kürzlich bei ihrer Unterhaltung das Haar aus dem Gesicht gestrichen hatte und wich gerade noch zurück um nicht von den losbröckelnden Erzbrocken getroffen zu werden. Und dann dachte sie an die harten Muskelsträngen die deutlich unter der narbigen Haut des Gladiators ertastbar waren als sie sich an seiner Rüstung zu schaffen machte. Laut knirschend stürzte die Säule in sich zusammen.
Was für ein weltfremder Mann...

Das verwahrloste Dach taumelte heftig, fing sich aber gerade noch und saß jetzt windschief auf der letzten verbliebenen Säule. Rund, schlicht und aus Marmor gehauen wirkte sie verglichen mit den anderen beiden Säulen geradezu filigran. Irgend jemand hatte sich sogar unbeholfen die Mühe gemacht, sie mit einer aufgemalten Efeugirlande zu verzieren.

 "Schönheit" also. Die unbeständigste aller Säulen. Sie seufzte - dann halt eben diese. Und war es nicht auch das, was ihr Mann an ihr immer am meisten gerühmt hatte?

Sie atmete tief aus und tauchte unter. Sie sollte nach der Reise noch einmal bei der Schneiderei vorbeigehen und neue Gewänder in Auftrag geben. Bei der Gelegenheit könnte sie auch gleich beim Goldschmied vorbeisehen.

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