Freitag, 6. Juli 2012

Praeludium

Sie schloss die Augen. Überall waberten zahlreiche Gerüche und Aromen die alle gleichzeitig auf sie eindrangen. Schweiß und Urin, Blumen und exotische Gewürze, Wein und der Dunst von altem Bratenfett, ranzigem Lampenöl und Talg. Aufdringlich schwebten die Gerüche aus allen Richtungen und buhlten um ihre Aufmerksamkeit. Durch die dünnen Ledersohlen ihrer abgetragenen Schuhe spürte sie die harten, grob behauenen Steine der Via Appia, welche sie in diese vor Leben nur so pulsierende Stadt Brundisium geführt hatte.
Um sie herum herrschte eine fröhliche Kakophonie von Lärm. Sie hörte Tiere brüllen, Menschen fluchen, Karren rumpeln, dumpfe Hämmerschläge aus den Häusern der Handwerker , das Geschrei von Händlern und flüchtige Gesprächsfetzen aus zahlreichen Unterhaltungen.
Sie streckte den Arm aus, stützte sich an die von der sengenden Mittagshitze der Sonne erhitzte Außenmauer eines Gebäudes. Ihre Finger fühlten die rauen Stellen an denen die Farbe der Fassade schon abgeplatzt war und unter ihrer verschwitzten Hand noch weiter wegzubröckeln drohte.

Sie dachte an das alte, abgelegene Landgut in Apulien wo sie als Tochter einer Haussklavin das Licht der Welt erblickte. Viel zu früh und daher so klein, das der Dominus Marcus Terentius Neo ihr scherzhaft den Namen Faba - Bohne - gab. Aber die gute Laune hielt nicht lange, noch am selben Tage kam seine eigene Frau mit einer Tochter - Terentia - nieder und hauchte kurz darauf im blutdurchtränkten Wochenbett ihr Leben aus. Die beiden Neugeborenen wurden Milchschwestern und schnell auch unzertrennlichen Freundinnen.

Ganz in der Nähe hörte sie auf einmal auf das vertraute, heisere Blöken eines Ochsen.

"Stirb Minotaurus! Ich bin Theseus, Sohn des Ägeus, und gekommen diese Jungfrau vor deinen schrecklichen Gelüsten zu bewahren!" Mit einem Ast in der Hand wedelte Faba temperamentvoll vor der beringten Nase des größten und schwersten Ochsen des Hofes herum. Terentia schob sich Schutz suchend hinter sie und umschloss das Stück Bindfaden fester mit ihrer Hand, als der Ochse die beiden Sechsjährigen mit seinen großen, dunklen Augen musterte. Er schnupperte an dem Ast und verscheuchte eine aufdringliche Fliege mit den Ohren.
"Winsle nicht um Gnade, du grausames Ungetüm! Wir wissen von deinen schändlichen Taten!" Nur der beherzte Griff Terentias um Fabas Handgelenk konnte in letzter Sekunde verhindern das diese tatsächlich den Stock gegen die weiche Schnauze des Tieres stieß, welche dieses gerade mit der großen, feuchtwarmen Zunge gründlich abschleckte.
Mit sich und der Welt zufrieden knickte der Ochse die Vorderbeine ein und ließ seinen schweren Körper gemächlich auf die Weide nieder. "Sieg! Die Götter sind mit uns, Ariadne! Das Monster liegt danieder!" kreischte Faba fröhlich, packte ihre beste Freundin und begann wild um das Rind herumzuhüpfen, welches herzhaft die letzte Mahlzeit hochrülpste um sie genüsslich wiederzukäuen.

"Terentia! Faba! Habe ich euch nicht gesagt das ihr von der Weide bleiben sollt! Und bleibt ja von dem Ochsen weg! Elende Rindsviecher..." brummelte der Dominus als er zusammen mit einem Fremden näher trat, offen lassend ob er damit die beiden Mädchen oder das Weidevieh meinte. "Kommt her Mädels, ich habe euch etwas aus der Stadt mitgebracht."
Er wartete bis die beiden über den Zaun geklettert und in der Hoffnung auf Leckereien wild auf ihn zugestürmt waren bevor er weitersprach: "Dies ist Peleus, der ab jetzt dein Hauslehrer sein wird, Terentia. Er wird dir lesen, schreiben, musizieren und hoffentlich auch ein gutes und sittliches Benehmen beibringen." Er sah den graubärtigen, verdrossen dreinblickenden Griechen missmutig an. "Gerade letzteres scheint mir sehr wichtig zu sein. Immerhin steht ja in ein wenigen Jahren auch deine Hochzeit bevor und du sollst mir keine Schande bereiten. Faba, in anbetracht dessen das du Terentia später als Leibsklavin dienen sollst darfst du dem Unterricht folgen. Solange du deine vorlaute Klappe hältst und nicht störst!"

Laut rumpelte ein Ochsenkarren an Faba vorbei. Im letzten Moment konnte sie ihre Zehenspitzen vor den schweren, eisenbeschlagenen Rädern in Sicherheit bringen. Sie öffnete die Augen einen Spalt nur um sie erschrocken zu schließen, als sie sah das eine Leiche achtlos auf die Ladefläche geschmissen worden war. Sanft waberte ihr der Geruch des Todes entgegen. Sie würgte und kämpfte mühsam mit ihrem Mageninhalt und schmerzhaften Erinnerungen.

Terentia, fiebernd, die Haut mit so vielen Pusteln und Blasen bedeckt das sie mehr einem Gebäckstück als einem menschlichen Wesen glich. Die schwache, zitternde Hand in ihre gelegt. Die heisere, gebrochen Stimme flüsterte kraftlos: "Faba... ach, Faba... Vater wird enttäuscht sein... so traurig... wenn ich in zwei Monaten nicht..", sie hustete rasselnd und rang nach Atem, "Was wird sein Freund sagen wenn... ich nicht da bin? Faba, die Hochzeit... die Feier..." Sanft drückte Faba ihr einen Kuss auf das entstellte Gesicht um sie zu beruhigen und warf dem Dominus, der seit Stunden still und von der Kranken unbemerkt am Bettesrand gesessen hatte, einen langen und verzweifelten Blick zu.
"Es wird alles gut werden, Terentia. Heute hat der Dominus den Göttern eine weitere Ziege geopfert damit du wieder gesundest Du hättest sie sehen sollen, ein ganz prachtvolles Tier, schneeweiß und ohne jeden Makel. Sie wird den Göttern gefallen haben" Liebevoll strich sie Terentia über das einst so schöne, jetzt stumpf und strähnig gewordene Haar. "Ruh dich nur ein wenig aus und sammle neue Kräfte. Er wird gewiss auf dich warten.. und dann feiern wir richtig!"
Bittere, stille Tränen kullerten über Fabas blasse Wangen als sie das hoffnungsvolle Lächeln sah das sich langsam auf dem früher so fröhlichen Gesicht ausbreitete. Für einen kurzen Moment schienen die Schmerzen aus deren Zügen gewichen und Terentia wieder die alte zu sein. Dann brach ihr Blick.

Wie ein böser Fluch verbreitete sich diese rätselhafte Krankheit im ganzen Haushalt und forderte unbarmherzig ihren tödlichen Tribut. Terentia war nur der Anfang gewesen, Fabas Mutter Flavia die sich aufopfernd mit ihrer Tochter um ihr Ziehkind gekümmert hatte und selbst der allmächtig scheinende Dominus hatten dem nichts entgegenzusetzen.

Als sich nach drei Monaten erstmals wieder andere Menschen auf das Landgut wagten waren drei Fünftel des Haushaltes tot und Faba und die restlichen Überlebenden, die das ganze nur wie ein Wunder unbeschadet überstanden hatten, waren nur noch ein Schatten ihrer selbst. Sie wurden alle zusammen gerufen und auf dem Hof versammelt.

Das Landgut ging an entfernte Verwandte der Familie und die Dienerschaft sollte bis auf die unbedingt notwendige Grundbesetzung zur Bestellung des Hofes verkauft werden. Es folgte eine lange Vorlesung der Namen und die Einteilung in das jeweilige Schicksal.
Ganz am Schluss fiel der Name "Terentia Faba". Sie schluckte. Der Namenszusatz war ihr neu und er bedeute.... jetzt fiel das Wort: "Liberta".
Sie war per Testament freigelassen worden! Ihr ganzer Körper begann zu zittern und sie ließ sich schwer auf den Boden fallen.
Die neuen Besitzer wollten ihr kein Geld zur Freilassung schenken um ihr den Aufbau eines Lebensunterhaltes zu ermöglichen, aber man gestatte Faba ihr Peculium zu behalten. Man machte sie nochmals darauf aufmerksam, dass sie rein rechtlich noch ihrem neuen Patron unterstand und zum Gehorsam verpflichtet war, aber der Tonfall machte mehr als deutlich dass man darauf keinen großen Wert legte.
So stand sie einen Tag später vor dem geschlossenen Tor des Landgutes, eine überflüssige Freigelassene, die man nicht noch mit durchfüttern wollte. Sie drehte sich nicht um, kniete nieder und bat um den Segen Mercurs, bevor sie sich festen Schrittes die Straße entlang zu der nächsten Stadt auf den Weg machte, in der Hoffnung das die Götter schützend ihre Hand über sie halten würden.

Plötzlich wurde Faba gegen die Wand des Hauses gestoßen und sie riss erschrocken die Augen auf. Eine Sänfte war soeben an ihr vorbeigeeilt und einer der Träger hatte sie unsanft aus dem Weg geschubst. Sie klopfte den Staub und den Dreck der Strasse von ihrer zerschlissenen Tunika und zog das fadenscheinige Tuch, welches sie um Schultern und Frisur gelegt hatte, enger um sich. Scheu richtete sie ihren Blick von der farbenfroh gekleideten Menschenmenge zu Boden und richtete ihre Schritte zum Herzen der Stadt, dem Hafen. Überall wimmelte es vor Lebewesen und unter lautem Geschrei wurden Schiffe gelöscht und beladen, Waren bei den zahlreichen Marktständen verkauft und Grüße, Gespräche und Gerüchte zwischen den Menschen ausgetauscht.
Mit knurrendem Magen bewunderte sie die Auswahl der Händler und ließ ihre Blicke begehrlich über das zahlreiche Angebot frischer Obst- und Gemüsesorten wandern und sog den Geruch der exotischen Gewürze genüsslich ein. Was würde sie jetzt nicht alles für einen warmen Eintopf geben! Während sie die wenigen Münzen in ihrer Tasche abzuzählen begann, fiel ihr Blick auf das Schild der Taverne hinter dem Markt. Gerade noch für sie erschwinglich lockte es mit warmen Speisen und kühlen Getränken. Wenige Atemzüge später hatte sie schüchtern auf einer der Bänke Platz genommen und wartete geduldig auf die Bedienung.

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